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Beitrag vom 09.04.2016
Statements zum neuen Gesetz zu Zwangsprostitution und Menschenhandel
Christine Langer
Am 6. April 2016 hat das Bundeskabinett den Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels beschlossen. Freier von Zwangsprostituierten müssen demnach mit einer Freiheitsstrafe rechnen, doch ...
... Menschenrechtsorganisationen kritisieren die fehlende Umsetzung der Opferrechte
Mit dem neuen Gesetzesentwurf werden die bisherigen strafrechtlichen Regelungen stärker an internationale Vorgaben angepasst. Die Grundlage für diese Gesetzesänderung ist die EU-Richtlinie 2011/36 "Zur Verhütung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer", deren eigentliche Umsetzungsfrist bereits im April 2013 abgelaufen war.
Demnach müssen Freier von Zwangsprostituierten künftig mit Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren rechnen. Die Strafandrohung gilt für Fälle, in denen die persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage oder die Hilflosigkeit einer Person nachweislich ausgenutzt wurde. Zuhältern von Zwangsprostituierten drohen Strafen von bis zu zehn Jahren. Freier können allerdings unter Umständen straffrei bleiben, wenn sie den Fall der Zwangsprostitution anzeigen. Die Strafrechtsänderung soll das Prostitutionsschutzgesetz ergänzen, das bereits am 23. März 2016 von Bundeskabinett verabschiedet wurde.
Seit 2002 gilt in Deutschland das Prostitutionsgesetz (Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten), um die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten zu verbessern und das kriminelle Umfeld wirkungsvoller zu bekämpfen. Ziel des im März 2016 beschlossenen Gesetzesentwurfs ist es, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Prostituierten zu stärken, die Arbeitsbedingungen der in der legalen Prostitution Tätigen zu verbessern und Kriminalität aus dem Bereich der Prostitution zu verdrängen.
Dazu gehören die Erlaubnispflicht für Bordelle sowie eine Zuverlässigkeitsprüfung für die Betreiber_innen. Damit soll verhindert werden, dass vorbestrafte Menschenhändler_innen ein Bordell betreiben. Außerdem müssen sich die Prostituierten bei einer Kommune anmelden, um ihr Gewerbe bundesweit ausüben zu können.
Viele Menschenrechts- und Frauenorganisationen begrüßen die Umsetzung des Gesetzesentwurfs zur strafrechtlichen Verfolgung von Zwangsprostitution. Kritisiert wird jedoch die fehlende Stärkung der Opferrechte.
An dieser Stelle veröffentlicht AVIVA-Berlin Stellungnahmen vom Deutschen Frauenrat, dem KOK (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.) und TERRE DES FEMMES zur Strafrechtsänderung des Prostitutionsschutzgesetzes:
Deutscher Frauenrat: Wichtiges Zeichen gegen Menschenhandel
"Damit wird ein wichtiges Zeichen gegen Menschenhandel gesetzt. Denn alle Menschen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel ausnutzen, müssen strafrechtlich verfolgt werden. Was für Freier gilt, gilt umso mehr für MenschenhändlerInnen und ZuhälterInnen, die zukünftig mit zehn Jahren Haft bestraft werden können. Ausschlaggebend wird aber sein, wie aus einem gut gemeinten ein gutes Gesetz wird. Dafür muss die Strafverfolgung von Menschenhandel wesentlich konsequenter und effektiver vorangetrieben werden als bisher. Wir begrüßen auch, dass mit dem geplanten Gesetz eine klare Trennung zwischen legaler Prostitution einerseits und Menschenhandel und Zwangsprostitution andererseits vollzogen wird. Denn ein generelles Verbot von Prostitution halten wir aus verschiedenen Gründen für kontraproduktiv – auch oder gerade für die Bekämpfung von Menschenhandel, " so Susanne Kahl-Passoth, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrats.
KOK: Ohne die Durchsetzung von Opferrechten lässt sich Menschenhandel nicht bekämpfen
Der KOK begrüßt, dass weitere Ausbeutungsformen, wie die Ausnutzung erzwungener Straftaten oder erzwungener Betteltätigkeit nun als Menschenhandel erfasst werden sollen. Gleichzeitig mahnt der Verein jedoch an, dass ein alleiniger strafrechtlicher Fokus für eine sachgerechte Umsetzung der EU Richtlinie 2011/36 nicht ausreichend ist.
"Die Richtlinie schreibt konkret vor, dass die Opferrechte gleichrangig neben der strafrechtlichen Bekämpfung im Mittelpunkt aller gesetzlichen Maßnahmen stehen müssen. Im vorliegenden Gesetzesentwurf spielt aber die Umsetzung von Opferrechten faktisch keine Rolle. In Fachkreisen ist bekannt, dass Menschenhandel letztlich nur bekämpft werden kann, wenn die Betroffenen von Menschenhandel geschützt und unterstützt werden. Sie müssen Zugang zum Recht haben und ihren Anspruch auf Entschädigung und Lohn durchsetzen können." Der KOK fordert daher, dass neben den strafrechtlichen Änderungen notwendige Maßnahmen für die Stärkung der Opferrechte eingeführt werden.
TERRE DES FEMMES
... begrüßt, dass weitere Ausbeutungsformen, wie die Ausnutzung erzwungener Straftaten, in dem neuen Gesetz vorgesehen sind.
Gleichzeitig kritisiert TERRES DES FEMMES aber, dass die umfangreichen Vorgaben der EU-Richtlinie, die einen ganzheitlichen und menschenrechtsbasierten Ansatz im Kampf gegen den Menschenhandel fordert und neben der täterseitigen Bekämpfung auch die Stärkung der Opferrechte in den Mittelpunkt stellt, ignoriert bleiben. "Hierzu gehören eine ausreichende und stabile Finanzierung von spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel und die Gewährleistung von Entschädigungsleistungen für die Opfer. Auch der Vorgabe, eine unabhängige Berichterstattungsstelle für Betroffene von Menschenhandel einzuführen, bleibt weiterhin unberücksichtigt."
Weitere Informationen zum Prostitutionsschutzgesetz unter:
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: www.bmjv.de
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: www.bmfsfj.de
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Quellen:
Deutscher Frauenrat, 7. April 2016
www.frauenrat.de
KOK, 6. April 2016
www.kok-gegen-menschenhandel.de
TERRE DES FEMMES
www.frauenrechte.de